Fabian Biasio
Reportage, 2017
Am Scheideweg
Projektbeschrieb
Erdoğan hat im vergangenen April sein umstrittenes Präsidialsystem durchgedrückt. Der Zeitpunkt ist opportun, in Istanbul den Puls zu fühlen. Die Stadt am Bosporus ist sozusagen die Halsschlagader des Landes. Die Stadt hat die kritische Grösse, um Katalysator der Kulturen zu sein; Toleranz fusst hier auf einem gesunden Mass an städtischer Anonymität, man gibt sich international, mediterran und liberalistisch. Eine Verbindung vom Okzident zum Orient und in guten Zeiten der Beleg dafür, dass der beschworene «Clash of Civilizations» Samuel P. Huntingtons nicht viel mehr war als Populistenfutter.
Istanbul ist auch in schweren Zeiten ein idealer Brennpunkt, dieses Spannungsfeld zu studieren. Es mögen entsetzliche Zeiten für die Menschen sein, es sind privilegierte Zeiten für Dokumentaristen. Was sich erst in einigen Generationen als Geschichtsschreibung präsentieren mag, spielt sich jetzt vor unseren Augen ab. Eine säkulare, «verwestlichte» Türkei trifft in Istanbul auf eine Erdoğan-Türkei, in welcher der Gebetsruf des Muezzins noch etwas gilt und die Frauen Hijab tragen.