Patrick Rohr

Editorial, 2015

Bloody Serious - Trying To Understand The Blood-Soaked Search For A Ukrainian Identity

Michail, 36, war bis im Februar 2014 Demonstrant auf dem Euromaidan in Kiew. Als er hörte, dass Separatisten im Osten der Ukraine einen Krieg anzettelten, schloss er sich als Freiwilliger einer Truppe an. Nachdem drei seiner Kameraden getötet wurden, flüchtete er nach Kiew. Er stehe jetzt auf einer — ukraine krieg aufstand

Irina, 38, gehörte zu den Anführerinnen während der Demos auf dem Maidan im Zentrum Kiews. Drei Monate lang wohnte in einem Zelt auf dem grossen Platz. Als die Demonstrationen blutig niedergeschlagen wurden und fast zeitgleich Russland ihre Heimat, die Krim, annektierte, realisierte sie, dass sie nicht mehr nach Hause konnte. Als Aufständische müsste, sagt sie, 15 Jahre ins Gefängnis. Sie wohnt jetzt in einem ehemaligen Angestelltenhaus von Ex-Präsident Janukowitsch und wartet auf den — ukraine krieg aufstand

Andriy Teteruk, 44, ist Parlamentsabgeordneter der Mittepartei Volksfront, die nach den Aufständen entstanden ist. Bis kurz vor seiner Wahl war er ein militärischer Führer. Jetzt kämpfe er mit Worten statt mit Waffen, sagt Teteruk, der jeden Tag in Uniform in sein Büro beim Parlamentsgebäude geht. — ukraine krieg aufstand

Ihor, 33, demonstrierte auf dem Maidan, als plötzlich von bis heute unbekannten Heckenschützen auf die Demonstrierenden geschossen wurde. Neben ihm starben Leute, Ihor wurde schwer am Bein verletzt. Der Kampf habe erst begonnen, sagt er, und er werde auch weiter kämpfen. Aber zuerst möchte er, dass die Schützen vom Maidan verurteilt werden. Doch niemand will etwas wissen, die Regierung schweigt. Obwohl die neue Regierung, sagt Ihor, vollständige Aufklärung versprochen habe. — ukraine krieg aufstand

Oleg, 26, ist auch aus dem Osten nach Kiew gekommen. Weil er überzeugt ist, dass der Aufstand von der Hauptstadt aus kommen müsse. Er ist bereit für den Kampf, denn der Maidanaufstand hat - so ist er überzeugt - — ukraine krieg aufstand

Tamara, 40, gehört zu den unzähligen Freiwilligen in der Ukraine, die schauen, dass die Menschen - Soldaten und Bürger - im Osten nicht an Hunger und Kälte sterben. — ukraine krieg aufstand

Viktor (nicht sein richtiger Name), 23, hat sich als Freiwilliger für das Azov-Bataillon gemeldet. Die Azov-Kämpfer sind eine Truppe rechtsnationaler - Menschenrechtsorganisationen sagen: neonazistischer - Soldaten, die (inzwischen im Auftrag des Staates) im Osten des Landes gegen die Separatisten kämpfen. In einem dreiwöchigen Training auf einem verlassenen Industriegelände am Rande Kiews werden sie auf den Kampf vorbereitet. — ukraine krieg aufstand

Vania, 21, und Rewas, 24, haben ihre Liebe noch nie öffentlich gezeigt. Zu gefährlich sei es, sagen sie, zu einer homosexuellen Liebe zu stehen. Doch jetzt würden sie es tun, weil sich — ukraine krieg aufstand

Projektbeschrieb

Als ich nach Ausbruch des Krieges in der Ostukraine las, dass Hunderttausende Menschen aus den Gegenden um Donezk und Lugansk im eigenen Land auf der Flucht waren, reiste ich nach Kiew, um die Geschichten der "inländischen Flüchtlinge" (oder "Internally Displaced People", wie sie offiziell genannt werden) zu erzählen. Auf dieser ersten Reise hatte ich die Möglichkeit, Flüchtlinge aus allen Gesellschaftsschichten zu fotografieren. Beeindruckt von den Geschichten dieser Menschen, ging ich später zurück in die Ukraine und weitete das Projekt aus. Ich traf Menschen, die bereit sind, für ihre Idee der Ukraine zu kämpfen - auch wenn sie dabei alles, selbst ihr Leben, verlieren können. Etwas, was mir als Bürger eines etablierten demokratischen Landes fremd ist. Aus meinen Besuchen in der Ukraine ist schliesslich das Multimediaprojekt "Bloody Serious" entstanden, das Ende 2015 im Internet veröffentlicht und - als Fotoprojekt - ausgestellt wurde.

Publikationsinformationen

Titel der Arbeit: Bloody Serious - Trying To Understand The Blood-Soaked Search For A Ukrainian Identity
Publikation: Schweiz am Sonntag
Ausgabe: 17. Mai 2015
Seite(n): 1
Herausgeber: AZ Medien AG