Thomas Kern

Editorial, 2016

Haiti. Die endlose Befreiung

Selektionierte "Editorial" 2016

Route Nationale 2, Cavaillon, 2015

Der heute unbenutzte Marktplatz von Cavaillon am Ufer des gleichnamigen Flusses.

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Carrefour Feuilles, Port-au-Prince, 2004

Im Quartier Carrefour Feuilles ist eines der vielen Tap-Taps umgekippt. Eine zusammengelaufene Menge von Schaulustigen will mit anpacken und gute Ratschläge geben, wie der Wagen wieder zurück auf die Räder gedreht werden könnte. Ob in Carrefour, Cité Soleil oder im wohlhabenden Pétionville – überall sind die Strassen voller farbenfroh bemalter Pick-ups und Kleinbussen, die immer wieder anhalten, um einen Fahrgast aus- und für ein paar Gourdes einen anderen einsteigen zu lassen.

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Via Crucis, Ville Bonheur, 2008

In Ville Bonheur befindet sich am Ende eines Kreuzwegs, der die Stationen des Lebens Jesu darstellt, diese Christusfigur am Kreuz. Der noch übrig gebliebene Torso ist Zeugnis davon, dass die Pilger die Jesusstatue am Ende des Weges nicht nur berühren, sondern auch gleich einen kleines Stück des Gipsbetons mit nach Hause nehmen wollen, wo es zusammen mit einer Flasche Wasser von Saut d’Eau Glück bringen soll.

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Croix des Bouquets, 2013

Ein Unfall mit einer improvisierten Ambulanz.

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Bernard, Léogâne, 2015

Die Beisetzung meines alten Freundes und treuen Begleiters. Simon Bolivar war der erste Haitianer, den ich kennenlernte als ich für die Zeitschrift DU das Land zum ersten Mal bereiste. Eine Begegnung voller Überraschungen, die nicht immer einfach war. Simon starb am 23. September 2015 an den Folgen eines Unfalls; er wurde von einem Auto angefahren. Ich war im Oktober unterwegs zu seinem Hause in Fort National um ihn zu einem gemeinsamen Ausflug in den Süden Haitis einzuladen, als ich von seinem Tod erfuhr. Ich weiss, er hätte die gemeinsame Reise genossen. Die Fahrt in den Süden musste ich alleine machen, doch für die Abdankung und die Beisetzung am Tag darauf war ich gerade noch rechtzeitig gekommen.

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Lycée Jean Marie Vincent, Tabarre, 2015

Am 25. Oktober 2015 war Wahltag zur ersten Runde der haitianischen Präsidenschaftswahlen. Das Lycée Jean Marie Vincent in Tabarre war einer der Hunderten von Orten für die Stimmabgabe. Tabarre ist zugleich auch Wohnort des ehemaligen Präsidenten Jean-Bertrand Aristide. Die Menschen waren in grosser Aufregung und Aufruhr über die gemeinsame Stimmabgabe der Präsidentschaftskandidatin Maryse Narcisse zusammen mit Aristide. Für viele der anwesenden Anhänger der Partei Fanmi Lavalas war es, als wäre Titid noch immer ihr Präsident.

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Madame Sergo, Fort National, Port-au-Prince, 2010
Bergungs- und Aufräumarbeiten im Quartier Fort National in Port-au-Prince. Die Bewohner des Quartiers wurden durch UNO finanzierte „Cash for Work“ Programme organisiert um den in sich zusammen gestürzten Stadtteil aufzuräumen. Bei dem auf das Armierungseisen aufgesteckten Schädel soll es sich um Madame Sergo handeln, die Gattin von Monsieur Sergo, der an dieser Stelle ein kleines Bestattungsinstitut besass und dieses, zusammen mit seiner Frau und seinen 4 Kindern, unter dem Schutt begraben im Erdbeben vom 12. Januar 2010 verlor.

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Bassin Saint Jacques, Plaine du Nord, 2008

Das Städtchen Plaine du Nord steht einmal im Jahr im Zentrum des Vodou. Ende Juli steigt Saint Jacques beziehungsweise die ihm entsprechende lwa des haitianischen Vodou Ogoun Feraille, der Feuer und Alkohol liebt, aus den Grotten der Berge hinunter in ein kleines Schlammloch. Gläubige werfen Opfertiere, Kerzen und Geld in den Pfuhl aus schlammigem Wasser und lassen sich im Becken treiben, um dort die spirituelle Nähe zu Ogoun zu finden.

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Projektbeschrieb

Tourist

Fremder, mach kein Foto von mir.
Fremder, pack mich nicht in den Kasten.
Ich bin zu hässlich.
Ich bin zu schmutzig.
Ich bin viel zu dünn.
Mach kein Foto von mir, weisser Mann.
Um Mister Eastmans willen,
Tu es nicht: Er möchte es nicht.
Ich bin zu schmutzig. Ich bin zu hässlich.
Deine Kodak wird sicher dabei draufgehen.
Ich bin zu schwarz, Fremder.
Lass mich in Ruhe, Weisser.
Mach auch kein Foto von meinem Esel.
Das Tier ist vollbepackt,
hinfällig und schwach auf den Beinen.
Er hat nichts gefressen, dieser Esel.
Mach kein Foto von ihm.
Fremder, mach auch keinen Schnappschuss
von meiner Wohnung.
Weder von der Strohhütte
noch von der aus Lehm und Gras.
Beide fallen auseinander.
Mach doch lieber eine Aufnahme vom Palast
oder vom Prunk der Zweihundertjahrfeier.
Mach bitte kein Foto von meinem Acker.
Ich habe keinen Pflug.
Ich habe keinen Traktor.
Ich habe keine einzige Maschine.
Meine Bäume sind wertlos.
Meine nackten Füsse sind schmutzig.
Meine Kleider? Schon ganz zerrissen.
Der arme Neger schaut einem Weissen nicht ins Gesicht.
Fremder. Schau mein Haar an.
Deine Kodak ist solche Farbe und Stärke nicht gewohnt.
Dein Friseur würde nicht wagen, es zu glätten.
Fremder, mach bitte kein Foto von mir.
Du verstehst meine Haltung nicht.
Du verstehst überhaupt nichts.
Es geht dich nichts an, sag ich dir.
Gib mir fünf Cents, Fremder.
Und dann hau ab!

Ein Gedicht von Félix Morisseau-Leroy, aus Djakout, 1953

Seit seiner hoffnungsvollen Gründung durch aufständische Sklaven 1804 wird Haiti immer wieder von Naturkatastrophen und politischen sowie sozialen Krisen heimgesucht. Ich bereise den Karibikstaat seit 1997 und arbeite kontinuierlich an einem grossen Fotoessay, der ein differenziertes und emotional ergreifendes Bild von Haiti vermitteln soll.

Der kürzlich publizierte Bildband wird von drei Textbänden in Deutsch, Englisch und Kreolisch begleitet: Mit eigenen Texten, mit der Innensicht auf Kultur und Situation Haitis von der angesehenen haitianischen Schriftstellerin Yanick Lahens und mit einer Aussensicht auf Politik und Geschichte des Landes vom Schweizer Publizisten Georg Brunold.

Publikationsinformationen

Titel der Arbeit
Haiti. Die endlose Befreiung
Agentur
-
Kunde
-
Publikation
Buch
Ausgabe
2016
Seite(n)
628 Seiten
Buchtitel
Haiti. Die endlose Befreiung
Herausgeber
Nadine Olonetzky
Verlag
Scheidegger und Spiess
ISBN
978-3-85881-515-6