Meinrad Schade

Editorial, 2009

«Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?»

Wolgograd, ehemals Stalingrad, Russische Föderation, Mai 2009. Im staatlichen «Zentrum für ergänzende Ausbildung für Kinder, Wachposten Nr. 1» wird eine Schülerin in einem Übungsraum auf das Bewachen des ewigen Feuers vorbereitet, welches seit 1963 auf dem Platz der gefallenen Kämpfer brennt. Damals wurde beschlossen, dass Schulkindern, anfänglich nur Buben,später auch Mädchen, die Möglichkeit gegeben werden sollte, dieses ehrenvolle Amt zu übernehmen und dabei das Gewicht der Waffe zu spüren. Die Schüler kommen dieser Aufgabe in ihrer Freizeit nach. Sie dient nach offiziellen Angaben der Ausbildung und Entwicklung von Persönlichkeiten, die über die Qualitäten eines patriotischen Bürgers Russlands verfügen.

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Kiew, Ukraine, August 2007. Ein Ukrainer fotografiert seine Freundin vor der bronzenen Heldengalerie. Die Galerie ist Bestandteil des Gedenkkomplexes des Nationalmuseums zur Geschichte des Grossen Vaterländischen Krieges 1941–1945.

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Wolgograd, ehemals Stalingrad, Russische Föderation, Mai 2009. Ein Kriegsveteran vor einem Diorama im Staatlichen Wolgograder Panorama-Museum Schlacht um Stalingrad.

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Kiew, Ukraine, August 2007. Einer der 15 Säle des Nationalmuseums zurGeschichte des Grossen Vaterländischen Krieges 1941–1945, wie der Zweite Weltkrieg hier genannt wird. Das Museum ist bei Jung und Alt sehr beliebt.Die Sowjetunion beklagte mit annähernd 25 Millionen Kriegsopfern am meisten Tote, von diesen waren schätzungsweise 8 bis 10 Millionen Ukrainer.

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Wolgograd, ehemals Stalingrad, Russische Föderation, Mai 2009. Gennadiy Alexandrovich Hannikov, 82-jähriger Kriegsveteran und Kosak.

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Kiew, Ukraine, August 2007. Vor dem Eingang zum Nationalmuseum zur Geschichte des Grossen Vaterländischen Krieges 1941–1945 stehen zwei bemalte Panzer.

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Kiew, Ukraine, August 2007. Valentina Vladimirovna, Aufsicht im Nationalmuseum zur Geschichte des Grossen Vaterländischen Krieges 1941–1945.

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Wolgograd, ehemals Stalingrad, Russische Föderation, Mai 2009. Am 9. Mai,am «Tag des Sieges», ist der «Saal des Kampfesruhmes» mit dem ewigen Feuer zum Bersten voll. Der «Saal des Kampfesruhmes» ist ein Pantheon,welches Teil des riesigen Gedenkkomplexes auf dem Mamajew Kurgan ist, einem Hügel, der während der Stalingrader Schlacht hart umkämpft war.

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Projektbeschrieb

Die ukrainische Hauptstadt Kiew und die südrussische Stadt Wolgograd, das
ehemalige Stalingrad, tragen heute noch den Titel «Heldenstadt». Dieser
wurde in der Sowjetunion jenen zwölf Städten verliehen, welche sich im «Grossen
Vaterländischen Krieg», wie der Zweite Weltkrieg genannt wird, besonders
vehement gegen den Einmarsch der Wehrmacht gewehrt hatten. Die Fotografien
entstanden im August 2007 in Kiew sowie rund um den «Tag des Sieges»
am 9. Mai 2009 in Wolgograd. Der 9. Mai ist bis heute in den meisten Staaten
der ehemaligen Sowjetunion einer der wichtigsten Feiertage und erinnert
an den Sieg der sowjetischen Streitkräfte über Hitler-Deutschland. Man mag
von der Ästhetik der Inszenierung befremdet oder gar angewidert sein. Aber
man sollte bei deren Beurteilung auch in Betracht ziehen, dass die Sowjetunion
mit annähernd 25 Millionen Kriegsopfern die meisten Toten im Zweiten
Weltkrieg zu beklagen hatte. Auch heute beteiligen sich nicht nur Kriegsveteranen,
sondern viele junge Menschen aktiv an dieser Erinnerungskultur.
Angesichts der Intensität der Feierlichkeiten am «Tag des Sieges», der Beliebtheit
der riesigen Kriegsmuseen bei Jung und Alt und des ungebrochenen
Stolzes auf den Sieg stellt sich die Frage, wann denn ein Krieg überhaupt
beendet ist. Im Roman «Die Wohlgesinnten» lässt der Autor Jonathan Littell
seinen Protagonisten Folgendes sagen: «Seid ihr überhaupt sicher, dass der
Krieg vorbei ist? In gewisser Weise ist der Krieg nie vorbei, oder er ist erst
vorbei, wenn das letzte Kind, das am letzten Tag des Krieges geboren wurde,
wohlbehalten begraben ist, und auch danach lebt er in dessen Kindern und in
deren Kindern fort, bis sich das Erbe allmählich verflüchtigt, die Erinnerungen
verblassen und der Schmerz abklingt.» Die Arbeit ist ohne Auftrag
entstanden und Teil meines Langzeitprojektes mit dem Titel «Vor, nach und
neben dem Krieg – Spurensuche an den Rändern der Konflikte».

Publikationsinformationen

Titel der Arbeit
«Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?»
Publikation
WOZ DIE WOCHENZEITUNG
Ausgabe
38
Seite(n)
20+21