Meinrad Schade
Editorial, 2009
«Seid ihr überhaupt sicher, dass der Krieg vorbei ist?»
Projektbeschrieb
Die ukrainische Hauptstadt Kiew und die südrussische Stadt Wolgograd, das
ehemalige Stalingrad, tragen heute noch den Titel «Heldenstadt». Dieser
wurde in der Sowjetunion jenen zwölf Städten verliehen, welche sich im «Grossen
Vaterländischen Krieg», wie der Zweite Weltkrieg genannt wird, besonders
vehement gegen den Einmarsch der Wehrmacht gewehrt hatten. Die Fotografien
entstanden im August 2007 in Kiew sowie rund um den «Tag des Sieges»
am 9. Mai 2009 in Wolgograd. Der 9. Mai ist bis heute in den meisten Staaten
der ehemaligen Sowjetunion einer der wichtigsten Feiertage und erinnert
an den Sieg der sowjetischen Streitkräfte über Hitler-Deutschland. Man mag
von der Ästhetik der Inszenierung befremdet oder gar angewidert sein. Aber
man sollte bei deren Beurteilung auch in Betracht ziehen, dass die Sowjetunion
mit annähernd 25 Millionen Kriegsopfern die meisten Toten im Zweiten
Weltkrieg zu beklagen hatte. Auch heute beteiligen sich nicht nur Kriegsveteranen,
sondern viele junge Menschen aktiv an dieser Erinnerungskultur.
Angesichts der Intensität der Feierlichkeiten am «Tag des Sieges», der Beliebtheit
der riesigen Kriegsmuseen bei Jung und Alt und des ungebrochenen
Stolzes auf den Sieg stellt sich die Frage, wann denn ein Krieg überhaupt
beendet ist. Im Roman «Die Wohlgesinnten» lässt der Autor Jonathan Littell
seinen Protagonisten Folgendes sagen: «Seid ihr überhaupt sicher, dass der
Krieg vorbei ist? In gewisser Weise ist der Krieg nie vorbei, oder er ist erst
vorbei, wenn das letzte Kind, das am letzten Tag des Krieges geboren wurde,
wohlbehalten begraben ist, und auch danach lebt er in dessen Kindern und in
deren Kindern fort, bis sich das Erbe allmählich verflüchtigt, die Erinnerungen
verblassen und der Schmerz abklingt.» Die Arbeit ist ohne Auftrag
entstanden und Teil meines Langzeitprojektes mit dem Titel «Vor, nach und
neben dem Krieg – Spurensuche an den Rändern der Konflikte».